Hungerzeichen erkennen und den Impulsen des Babys folgen – Achtsames Füttern im ersten Lebensjahr
Stillen, Fläschchen, Brei und Fingerfood – die Ernährung im ersten Lebensjahr ist eine Phase des Wandels. Vom Neugeborenen bis zum Beikostkind entwickelt sich nicht nur der Verdauungstrakt, sondern auch die Art, wie Hunger und Sättigung kommuniziert werden. Die eigenständigen Bewegungsmöglichkeiten des Kindes wandeln sich. Ein zentraler Bestandteil der Hebammenarbeit ist die Begleitung in diesen Phasen. Die einfühlsame Beratung der Hebammen kann Eltern befähigen, feinfühlig auf die Signale ihrer Kinder zu reagieren und sie von der Stillzeit bis zum Beikostalter gut zu unterstützen
Früher Grundstein für ein gesundes Essverhalten
Die Fähigkeit, die kindliche Körpersprache zu erkennen und beim Füttern in Beziehung zu treten, wird als responsives Füttern oder auch impulsorientiertes Füttern bezeichnet – eine Grundlage für gesunde Ernährung, Selbstregulation und emotionale Sicherheit des Kindes.
Hungerzeichen im Entwicklungsverlauf – von Reflexen zur Mitgestaltung
Säuglinge zeigen ihre Bedürfnisse in erster Linie über Körpersprache. Die Art dieser Signale verändert sich im Laufe der ersten Lebensmonate – von reflexartigen Reaktionen hin zu intentionalen, bewussten Mitteilungen:

Mit dem Einstieg in die Beikost (ca. ab dem 5.-7. Monat) treten Sättigungssignale stärker in den Vordergrund. Typische Sättigungssignale in diesem Alter sind:
Kopf abwenden
Lippen geschlossen halten
Hände vor den Mund führen
Spiel mit dem Essen statt aktiver Aufnahme
Hebammen können Eltern dabei unterstützen, nicht nur Hungerzeichen zu erkennen, sondern auch „Nein-Signale“ des Babys zu respektieren.
Wenn ein Kind selbst entscheiden darf, ob es essen möchte, eine Nahrung ablehnt oder sie auf andere Weise entdecken will, fördert das seine Selbstwirksamkeit und legt den Grundstein für ein gesundes Essverhalten.
Besonders die Wahrnehmung und Beachtung des Sättigungsgefühls spielt dabei eine zentrale Rolle – ein Aspekt, der früher oft übergangen wurde.
Was bedeutet responsives Füttern konkret?
Responsives Füttern bedeutet: Das Baby bestimmt, wann, wie viel und wie lange es essen möchte. Dabei gilt:
Kein Füttern ausschließlich nach Uhr oder Plan
Keine „Trickfütterung“ (z. B. Ablenkung oder Überlistung)
Kein Zwang zum Aufessen
Diese Form des responsiven Fütterns hilft Babys, ihre eigenen Körpersignale kennenzulernen und langfristig ihre Energieaufnahme selbst zu regulieren.
Studien zeigen: Kinder, die ihre Sättigung selbst steuern dürfen, haben ein geringeres Risiko für Übergewicht und Essstörungen.
Responsives Füttern mit der Flasche
Auch beim Füttern mit der Flasche kann ein achtsamer, responsiver Umgang gelebt werden. Besonders in Situationen, in denen nicht gestillt wird – ob aus medizinischen, persönlichen oder anderen Gründen – brauchen Eltern bestärkende Beratung.
Wichtige Prinzipien beim responsiven Flaschenfüttern:
Achtsame Fütterung mit der Flasche: Die Flasche wird in halbaufrechter Position gehalten, das Baby darf Tempo und Menge mitbestimmen – ein Flaschensauger mit langsamer Durchflussgeschwindigkeit kann dabei hilfreich sein
Signale beachten: Lippen schließen, Abwenden oder Ausspucken des Saugers sind zu respektieren.
Beziehungsqualität vor Trinkmenge: Blickkontakt und Nähe sind wichtiger als Milliliter-Angaben.
Hebammen können Eltern darin bestärken, dass auch Flaschenernährung eine Form des Beziehungsaufbaus sein kann – ohne Leistungsdruck und mit Raum für Verbindung.
Kinästhetik Infant Handling – Ernährung als Bewegungsdialog
Kinästhetik Infant Handling (KIH) bringt eine zusätzliche Dimension in die frühkindliche Ernährung: Es geht darum, dem Kind Bewegungsfreiheit zu geben und die Interaktion rund ums Essen als wechselseitigen Prozess zu gestalten.
Konkret heißt das:
Beim Stillen oder Fläschchengeben wird das Baby nicht starr gehalten, sondern darf sich stützen, mitbewegen, Kontakt aufnehmen
Beim Sitzen am Tisch oder im Hochstuhl wird das Kind nicht fixiert, sondern ergonomisch begleitet
Beim Essen darf das Baby mit den Händen mitarbeiten, auch wenn es „kleckert“
Der Körper des Babys wird nicht passiv „gehalten“, sondern aktiv begleitet – ein zentrales Prinzip des KIH. Hebammen können Eltern ermutigen, diese sensomotorische Selbstwirksamkeit zuzulassen: Das Baby lernt sich selbst kennen, wenn es sich selbst bewegen darf.

Kommunikation: Feinfühligkeit stärken – Beziehung statt Erfolg
Gerade im Bereich Ernährung erleben viele Eltern großen Druck. „Iss deinen Teller leer“ oder „Es muss nach Plan gehen“ sind tief verankerte Glaubenssätze. Hebammen können Eltern ermutigen, den Blick vom Ernährungserfolg hin zum Beziehungsprozess zu lenken:
„Essen ist Beziehung – und jedes Kind bringt seinen eigenen Rhythmus mit.“
Nicht die Menge des Essens steht im Vordergrund, sondern das emotionale Erleben des Kindes beim Essen.
Fazit: Vertrauen in die kindliche Kompetenz
Achtsames, responsives Füttern im ersten Lebensjahr legt den Grundstein für ein gesundes Essverhalten – körperlich wie emotional. Hunger- und Sättigungssignale entwickeln sich mit dem Kind mit. Es braucht Eltern, die lernen dürfen, diese Zeichen zu lesen. Hebammen sind hier wichtige Begleiterinnen.


Referenzen
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Feeding Guidelines for Infants and Young Toddlers: A Responsive Parenting Approach.
Healthy Eating Research, Robert Wood Johnson Foundation.
https://healthyeatingresearch.org/research/feeding-guidelines-for-infants-and-young-toddlers-a-responsive-parenting-approach/ (zuletzt abgerufen am 22.05.2025)
DGE (Deutsche Gesellschaft für Ernährung) & Forschungsinstitut für Kinderernährung (FKE) (2020).Ernährung von Säuglingen und Kleinkindern.Stellungnahme und Handlungsempfehlungen.https://www.dge.de/wissenschaft/weitere-publikationen/fke-saeuglingsernaehrung/
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Satter, E. (2000). Child of Mine: Feeding with Love and Good Sense.
Bull Publishing Company.
Beckmann, J. & Gruber, C. (2022).Baby-led Weaning, Breifrei & Co: Aktuelle wissenschaftliche Perspektiven zur Beikosteinführung. Monatsschrift Kinderheilkunde, 170, 1025–1034. https://doi.org/10.1007/s00112-022-01440-6
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