Nestschutz – von der Plazenta bis zur Muttermilch

Neugeborene sind in den ersten Lebensmonaten besonders anfällig für Infektionskrankheiten, da ihr Immunsystem noch nicht vollständig entwickelt ist. Ein temporärer Schutzmechanismus, bekannt als Nestschutz oder Leihimmunität, bietet in dieser kritischen Phase eine erste Verteidigungslinie gegen bestimmte Erreger.
Schwangerschaft & Stillzeit: So entsteht der Nestschutz
Der Nestschutz beruht auf der transplazentalen Übertragung von Immunglobulin G (IgG) aus dem mütterlichen Kreislauf auf das Kind. Dieser Prozess beginnt etwa ab der 13. Schwangerschaftswoche, nimmt jedoch ab der 28. Woche signifikant zu, sodass die höchste Konzentration maternaler IgG-Antikörper gegen Ende der Schwangerschaft erreicht wird.
Nach der Geburt wird dieser passive Schutz durch immunologisch aktive Substanzen in der Muttermilch ergänzt, insbesondere durch sekretorisches Immunglobulin A (sIgA), Lactoferrin, Lysozym und Oligosaccharide, die eine lokale Immunität insbesondere im Gastrointestinaltrakt fördern. Eine besonders wichtige Rolle spielt hier das Kolostrum mit seiner hohen Konzentration an Immunglobulinen.
Frühgeborene: Weniger schützende Antikörper
Frühgeborene kommen mit einem besonders empfindlichen Immunsystem auf die Welt – sie erhalten während der Schwangerschaft deutlich weniger schützende mütterliche Antikörper als reif geborene Kinder. Gleichzeitig entwickeln sie durch medizinische Interventionen wie Antibiotikagaben oder lange Klinikaufenthalte häufig ein verändertes Darmmikrobiom. Diese Faktoren können zu einer erhöhten Infektanfälligkeit und sogar zu schwerwiegenden Erkrankungen wie der gefürchteten nekrotisierenden Enterokolitis (NEC) einer entzündlichen Darmerkrankung, führen.
Die Rolle der Hebammenberatung
Gerade hier zeigt sich, wie bedeutsam die Rolle der Hebamme ist: Durch einfühlsame, fachlich fundierte Stillberatung und praktische Unterstützung beim Stillstart helfen Hebammen Müttern, ihrem Frühchen über die Muttermilch einen wichtigen immunologischen Schutz zu geben. Muttermilch ist für Frühgeborene mehr als Nahrung – sie ist wie ein aktiver Schutzschild mit lebenswichtigen Inhaltsstoffen wie Immunglobulin A, Lactoferrin und Oligosacchariden. Die ermutigende Begleitung kann den Unterschied machen – für ein gestärktes Immunsystem, eine gesunde Darmflora und einen besseren Start ins Leben.
Impfungen in der Schwangerschaft und ihre Bedeutung für den Nestschutz

Impfungen während der Schwangerschaft können den Nestschutz gezielt verstärken. Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt Schwangeren ab dem zweiten Trimester Impfungen gegen
Influenza,
Pertussis (Keuchhusten) und
COVID-19.
Diese Impfungen führen zur Bildung spezifischer Antikörper, die über die Plazenta an das ungeborene Kind weitergegeben werden und somit einen effektiven Schutz in den ersten Lebensmonaten bieten, in denen das Kind selbst noch nicht geimpft werden kann.
Gut zu wissen: Neue STIKO Empfehlung zur RSV-Impfung bei Säuglingen
Die STIKO empfiehlt seit 2024 für alle Säuglinge die passive Immunisierung gegen das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV). Die Gabe sollte idealerweise innerhalb der ersten sieben Lebenstage erfolgen, um insbesondere in der ersten RSV-Saison einen wirksamen Schutz vor schweren Atemwegserkrankungen zu gewährleisten.
RSV ist weltweit eine der häufigsten Ursachen für schwere Atemwegsinfektionen im Säuglingsalter
Besonders gefährdet: Frühgeborene, Neugeborene mit Vorerkrankungen und gesunde Säuglinge in ihrer ersten RSV-Saison
Frühzeitige Aufklärung durch Hebammen kann Eltern sensibilisieren und dazu beitragen, dass diese Schutzmaßnahme nicht verpasst wird
Auch wenn die Verordnung ärztlich erfolgt, sind Hebammen wichtige Multiplikatorinnen für diese neue Präventionsstrategie
Hebammen leisten einen unschätzbaren Beitrag zur Gesundheitsförderung von Mutter und Kind – die Nähe zur Familie und das Vertrauen machen sie zu einer wichtigen Ansprechpartnerin rund um die erste Zeit mit dem Baby.
Frühe Empfehlung zur ärztlichen Beratung
Auch wenn die Impfberatung nicht in den Aufgabenbereich der Hebamme fällt und ausschließlich von Ärztinnen und Ärzten durchgeführt werden darf, ist es dennoch von großer Bedeutung, Familien frühzeitig dafür zu sensibilisieren. Besonders beim Thema Nestschutz und Impfungen in der Schwangerschaft oder im frühen Säuglingsalter kann die Empfehlung, sich ärztlich beraten zu lassen, entscheidend sein.
Indem Hebammen Eltern ermutigen, rechtzeitig Kontakt mit der Gynäkologin bzw. dem Kinderarzt aufzunehmen, helfen sie aktiv dabei, dass wichtige Informationen nicht verloren gehen und keine Impfzeitpunkte versäumt werden. So tragen sie maßgeblich dazu bei, die Gesundheit des Kindes von Anfang an bestmöglich zu schützen – mit Kompetenz und Weitblick.
Referenzen
Palmeira, P. et al. (2012). IgG placental transfer in healthy and pathological pregnancies. Clin Dev Immunol, 2012, 985646.
Oddy, W. H. (2017). Breastfeeding, childhood asthma, and allergic disease. Ann Nutr Metab, 70(Suppl 2), 26–36.
Camacho-Morales, A. et al. (2021). Breastfeeding contributes to physiological immune programming in the newborn. Front Pediatr, 9, 744104.
Callender, M., & Harvill, E. (2023). Maternal vaccination: shaping the neonatal response to pertussis. Curr Opin Immunol, 81, 102333.
STIKO (2025). Epidemiologisches Bulletin 4/2025. Robert Koch-Institut, Berlin. https://www.rki.de/DE/Aktuelles/Publikationen/Epidemiologisches-Bulletin/2025/04_25.pdf?__blob=publicationFile&v=7 (zuletzt abgerufen m 27.05.2025)
CRM (2025). Kommentar zu den STIKO-Empfehlungen 2025. Centrum für Reisemedizin. https://crm.de/wp-content/uploads/CRM-Kommentar-zu-den-STIKO-Empfehlungen-2025.pdf (zuletzt abgerufen am 27.05.2025)
Wenn Ihnen dieser Beitrag gefallen hat, könnten Sie auch interessiert sein an

Hungerzeichen erkennen und den Impulsen des Babys folgen – Achtsames Füttern im ersten Lebensjahr

Kolostrum – flüssiges Gold für den gesunden Start ins Leben


Obstipation beim Baby – erkennen, beraten, begleiten