Anfangs- oder Folgemilch? Was Hebammen heute zur Säuglingsnahrung wissen sollten

Mit Einführung der Beikost stehen viele Eltern vor der zentralen Frage: Soll weiterhin eine Pre-Nahrung gefüttert werden - oder ist jetzt der Zeitpunkt gekommen auf eine sogenannte Folgemilch umzustellen, wenn das Baby nicht gestillt wird?
Während Pre-Nahrung lange als unangefochtene Empfehlung galt, hat sich in den letzten Jahren in der Entwicklung von Säuglingsnahrung viel getan. Für Hebammen, die Familien fundiert beraten möchten, lohnt sich ein differenzierter Blick auf aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse und die Zusammensetzung moderner Folgemilchprodukte.
Warum Folgemilch lange kritisch gesehen wurde
In der Vergangenheit war die Skepsis gegenüber Folgemilchprodukten bei vielen Fachpersonen, insbesondere auch bei Hebammen, weit verbreitet – und das aus gutem Grund.
Ältere Generationen von Folgemilchen enthielten häufig süßende Zusätze wie Maltodextrin, Glukosesirup oder sogar Zuckerarten, die nicht nur den natürlichen Geschmackssinn von Säuglingen beeinflussen, sondern auch langfristig ein ungünstiges Ernährungsverhalten prägen konnten. Die Produkte waren teilweise auch mit Aromen wie Banane, Vanille oder anderen geschmacksverstärkenden Substanzen versehen, was dazu führte, dass Kinder süße Geschmäcker frühzeitig bevorzugten – eine Entwicklung, die mit einem erhöhten Risiko für Karies und Adipositas im späteren Leben assoziiert wird.
Gerade aus der Perspektive der bindungsorientierten und bedürfnisorientierten Begleitung im ersten Lebensjahr war diese Produktpolitik problematisch: Statt sich am physiologischen Bedarf des Kindes zu orientieren, wurden vielfach Formulierungen gewählt, die vor allem auf „Sättigung“ und Akzeptanz zielten. Die natürliche Entwicklung des kindlichen Geschmacks, der Verdauungsphysiologie sowie die Selbstregulation der Trinkmenge konnten so negativ beeinflusst werden.
Moderne Folgemilch: Ein Paradigmenwechsel
In den letzten Jahren hat jedoch ein deutlicher Wandel in der Entwicklung und Herstellung von Säuglingsnahrungen stattgefunden.
Die Rezepturen moderner Folgemilchen wurden in vielen Fällen grundlegend überarbeitet. Sie orientieren sich zunehmend an den ernährungsphysiologischen Anforderungen im Beikostalter und setzen den Fokus auf eine altersgerechte Nährstoffversorgung, insbesondere zur Deckung kritischer Nährstoffe wie Eisen und Vitamin D.
Moderne Folgemilchen...
- verzichten auf Zuckerzusätze und Aromastoffe,
- enthalten angepasste Mengen an Eiweiß,
- orientieren sich zunehmend an der natürlichen Nährstoffentwicklung der Muttermilch,
- und berücksichtigen die steigenden Anforderungen im zweiten Lebenshalbjahr, insbesondere bei Eisen und Vitamin D.
Statt Sättigung steht heute eine altersgerechte Nährstoffversorgung im Mittelpunkt.
Eisen und Vitamin D – kritische Nährstoffe im zweiten Lebensjahr
Gerade im zweiten Lebenshalbjahr steigt der Bedarf an diesen Mikronährstoffen stark an und kann meist durch die Beikost nicht ausreichend gedeckt werden, In solchen Situationen kann eine Folgemilch mit einem angepassten Eisen- und Vitamin-D-Gehalt sinnvoll ergänzen, ohne dabei die Beikost zu ersetzen.
Aus der Forschung...
Eiweiß: Weniger ist mehr
Ein weiterer Fortschritt liegt in der Reduktion des Proteingehalts in einigen modernen Folgemilch-Produkten, um einer Überversorgung entgegenzuwirken, wie sie in älteren Formulierungen oft gegeben war.
...in die Praxis
Eine zu hohe Eiweißaufnahme im Säuglingsalter wird mit einem erhöhten Risiko für Übergewicht im späteren Leben in Verbindung gebracht.
Dies wurde unter anderem durch die Studie von Weber et al (2014) belegt.
-->BEBA hat inzwischen reagiert und passt den Eiweißgehalt an den natürlichen Verlauf der Muttermilch und dem Bedarf des Säuglings an.

Fazit: Eine differenzierte Haltung lohnt sich
Für Hebammen, die Eltern fundiert beraten möchten, bedeutet dies:
Die kritische Haltung gegenüber Folgemilch war und ist nachvollziehbar – insbesondere im Hinblick auf veraltete Produktgenerationen.
Heute lohnt sich jedoch ein differenzierter Blick: Folgemilch kann - unter bestimmten Voraussetzungen - eine sinnvolle Ergänzung zur Beikost darstellen. Vorausgesetzt, sie wird bedarfsorientiert ausgewählt und bleibt eine Ergänzung, nicht Ersatz für eine ausgewogene Beikost oder gar Muttermilch.

Auf einen Blick
- Folgemilchen können für nicht gestillte Säuglinge - richtig ausgewählt - eine sinnvolle Ergänzung zur Beikost darstellen.
- Sie dürfen jedoch nicht als Ersatz für eine ausgewogene Beikost dienen.
Referenzen
Jochum, F. (2019) Adipositasprävention - schon bei Säuglingsernährung?. Pädiatrie 31, 61 https://doi.org/10.1007/s15014-019-1714-5
Haiden, N., (2021) Ernährungskommission der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde. Stufenkonzepte bei Säuglingsmilchen. Monatsschr Kinderheilkd 169, 951–953 https://doi.org/10.1007/s00112-021-01173-1
Koletzko, Berthold et al. (2009) Lower protein in infant formula is associated with lower weight up to age 2 y: a randomized clinical trial. The American Journal of Clinical Nutrition, Volume 89, Issue 6, 1836 – 1845
Gill D et al. (1997): The effect of iron-fortified formulas on iron status in infants
Weber M et al. (2014) Lower protein content in infant formula reduces BMI and obesity risk at school age: follow-up of a randomized trial. Am J Clin Nutr 2014;99:1041-51
Borkhardt A, Wirth S.(2021) Stufenkonzepte bei Säuglingsmilchen – Stellungnahme der Ernährungskommission der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde e. V. (ÖGKJ).; Monatsschrift Kinderheilkunde 2021
Lönnerdal B et al (2017) Longitudinal evolution of true protein, amino acids and bioactive proteins in breast milk: a developmental perspective. J Nutr Biochem 41:1–11
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