Stillen und Allergieprävention

Die Zunahme allergischer Erkrankungen im Kindesalter – darunter atopische Dermatitis, Nahrungsmittelallergien, Asthma bronchiale und allergische Rhinitis – stellt eine wachsende Herausforderung in der pädiatrischen Versorgung dar. Eine effektive Primärprävention beginnt bereits im frühen Säuglingsalter, wobei das Stillen eine zentrale Rolle spielt, sowohl immunologisch als auch ernährungsphysiologisch.

Stilldauer und Schutz vor allergischen Erkrankungen
Die aktuelle Datenlage zeigt, dass ausschließliches Stillen über mindestens vier Monate mit einem reduzierten Risiko für die Entwicklung einer atopischen Dermatitis, insbesondere bei genetisch vorbelasteten Kindern, assoziiert ist. Bezüglich anderer allergischer Erkrankungen, wie Nahrungsmittelallergien oder Asthma bronchiale, ist die Studienlage komplexer, jedoch deutet eine Vielzahl von Studien auf einen gewissen protektiven Effekt hin.
Empfohlen wird das Weiterstillen während der Einführung von Beikost. Dies bestätigen auch die AWMF-S3-Leitlinie zur Allergieprävention (2022) sowie internationale Fachgesellschaften.

Paradigmenwechsel: Frühzeitige Einführung allergener Lebensmittel
Ein Paradigmenwechsel in der Allergieprävention hat sich in den letzten Jahren durch Studien wie LEAP (Learning Early About Peanut Allergy) und EAT (Enquiring About Tolerance) vollzogen. Diese zeigten, dass eine frühzeitige Einführung potenziell allergener Nahrungsmittel – insbesondere Erdnüsse und Hühnerei – zwischen dem 4. und 6. Lebensmonat unter Fortsetzung des Stillens das Risiko für die Entwicklung entsprechender Nahrungsmittelallergien signifikant senken kann
Aktuell gelten daher folgende Empfehlungen:
- Beikosteinführung je nach Reife des Kindes frühestens ab Beginn des 5. Monats, spätestens ab Beginn des 7. Monats
- Weiterstillen auch während der Beikostphase
- Potenziell allergene Lebensmittel nicht meiden, sondern gezielt einführen. Bei Säuglingen mit moderater bis schwerer AD soll jedoch vor einer Einführung von Erdnuss eine Erdnuss-Allergie ausgeschlossen werden

Elterliche Aufklärung: Der richtige Zeitpunkt zählt

Für die Praxis bedeutet dies:
Eltern sollten bereits frühzeitig – idealerweise schon in der Schwangerschaft– über die positiven Effekte des Stillens auf die Immunentwicklung und das Allergierisiko informiert werden. Stillförderung durch Hebammen, Stillberater:innen, Ärztinnen und Ärzte ist besonders bei Familien mit allergischer Disposition essenziell. Gleichzeitig ist aufzuklären, dass eine übermäßige Zurückhaltung bei der Einführung von Beikost keinen Schutz vor Allergien bietet, sondern im Gegenteil kontraproduktiv sein kann. Vielmehr gibt es Hinweise, dass die Vielfalt der Ernährung im ersten Lebensjahr einen protektiven Effekt auf die Entwicklung atopischer Erkrankungen hat. Eine vielfältige Ernährung beinhaltet auch potentiell allergene Lebensmittel in geeingeter Textur.
Wichtige Botschaft:
Gleichzeitiges Stillen und Einführung allergener Nahrungsmittel fördert die Ausbildung einer oralen Toleranz.

Was tun, wenn Stillen nicht möglich ist?
Nicht alle Babys können gestillt werden, sei es aus medizinischen oder persönlichen Gründen. Für diese Kinder empfehlen aktuelle Leitlinien bis zur Einführung von Beikost eine in der Allergieprävention geprüfte Säuglingsnahrung. Einsatz von HA-Nahrung (hypoallergene Nahrung)
- Eiweiß ist enzymatisch aufgespalten (hydrolysiert). Dadurch ist es weniger allergen und kann das Immunsystem im Säuglingsalter schonend an potenzielle Allergene heranführen.
- Frühzeitige Gabe ab Geburt kann das Risiko für atopische Dermatitis senken
- Voraussetzung: Langfristige Gabe und klinisch geprüfte Produkte
Wichtig für die Elternberatung:
Nicht jede hydrolysierte Nahrung ist automatisch wirksam zur Allergieprävention. Nur Produkte mit nachgewiesener Schutzwirkung in klinischen Studien sollten verwendet werden – am besten nach Rücksprache mit Kinderärzt:in oder Hebamme. Für gesunde, nicht allergiegefährdete Kinder ist keine HA-Nahrung notwendig.
Nach Beikostbeginn sollten auch HA-gefütterte Kinder allergene Lebensmittel wie Ei, Fisch oder Erdnuss wie gestillte Kinder erhalten.
Fazit: Gemeinsam beraten – individuell begleiten
Das Stillen ist eine zentrale Maßnahme zur Förderung der immunologischen Reifung und zur Vorbeugung allergischer Erkrankungen im Säuglingsalter. In Kombination mit einer altersgerechten Einführung vielfältiger Beikost – einschließlich potenzieller Allergene – lässt sich das Risiko für bestimmte Allergien wirksam reduzieren.
Eine enge interprofessionelle Zusammenarbeit von Kinderärzt:innen, Hebammen, Stillberater:innen und Ernährungsexpert:innen ermöglicht es, Eltern kompetent, alltagsnah und individuell zum Thema Allergieprävention zu beraten. Wer auf dem neuesten Stand der Forschung bleibt, schafft die Grundlage für eine wirksame, vertrauensvolle und evidenzbasierte Beratung – zum Wohl der Familien.
Referenzen
Victora CG et al. Breastfeeding in the 21st century: epidemiology, mechanisms, and lifelong effect. Lancet. 2016;387(10017):475–490.
Bode L. Human Milk Oligosaccharides: Every Baby Needs a Sugar Mama. Adv Nutr. 2012;3(3):383S–391S.
Du Toit G et al. Randomized trial of peanut consumption in infants at risk for peanut allergy. N Engl J Med. 2015;372(9):803–813.
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Greer FR et al. The Effects of Early Nutritional Interventions on the Development of Atopic Disease in Infants and Children: The Role of Maternal Dietary Restriction, Breastfeeding, Timing of Introduction of Complementary Foods, and Hydrolyzed Formulas. Pediatrics. 2019;143(4):e20190281.
AWMF-S3-Leitlinie Allergieprävention (2022), Registernr. 061-016. https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/061-016, (zuletzt abgerufen am 08.07.2025)
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